Mittwoch, 10. Dezember 2014

Adventseinkauf

Bastian hob den Kopf tief in seinen kalten Nacken. Einige Schneeflocken flogen ihm in den Mund. Nun konnte er das ganze Kaufhaus sehen. 9,95€. Er stand davor. Direkt vor dem Backshop und neben dem Schuhladen. Er hatte sich das genau gemerkt, als er das letzte Mal hier war.

Die erste Frage, die er sich stellte war, ob der Mann wohl das war, was er bislang von solchen
Leuten gehört hatte.

Er stellte sich vor, wie er die Rolltreppe hochfahren würde. Er würde bis ganz nach oben fahren, vorbei an den Anziehsachen. Vorbei an den Uhren und den goldenen Armbändern. Immer weiter, ganz allein. Die Mutter war im Schuhladen nebenan.

Eine alte dreckige Mütze war auf sein klägliches Gesicht gezogen. Er sah nicht gut aus

Ganz oben, am Ende der Rolltreppe, würde er scharf Links gehen. Dann die 3. Reihe rechts auf der linken Seite, direkt auf Augenhöhe. Er wusste schon, wo links und rechts war. Tom hatte es ihm letztens beigebracht. Er war bereits hier gewesen. In derselben Etage, in derselben Reihe. Es war das erste Mal, das er ganz alleine etwas kaufte.

Ganz alleine. Alles, was der Mann hatte war eine löchrige Decke. Seine Haut verriet ihm, dass er wohl schon oft ähnlichen Temperaturen, wie diesen ausgesetzt war.

Aus dem Eingang ging jetzt eine Frau heraus. Vielleicht war sie es, die gerade den letzten Karton eingepackt hatte. Vielleicht hatte sie 9,95€ bezahlt. Bastian schob seinen Handschuh aus und griff in seine Hosentasche. Der Schein war noch da. 5 Cent Rückgeld würde er bekommen, das hatte er bereits ausgerechnet.

Es schien ihm plötzlich, als säße er mitten in der Fußgängerzone. Zwischen all den vorbeigehenden Leuten, mit großen Plastiktüten und schnellem Schritt. Er dachte daran, wie Tom einmal von ihnen erzählt hatte: „Das sind doch alles nur Säufer. Die haben einfach keinen Bock zu arbeiten.“ Auch hatte er erzählt, dass sie immer aus dem Mülleimer essen und unter Brücken schlafen würden.

Bastian fröstelte im Gesicht. Er war jetzt gerade einmal eine halbe Stunde in der Kälte. Im Kaufhaus war es warm. Außerdem würde seine Mutter gleich kommen. Er wollte es endlich auspacken. Nach dem so langer Zeit, wollte er es endlich selber haben. Er wollte selber damit spielen dürfen, nicht nur ganz kurz, wenn Tom es ihm erlaubte. Seine Hand, in der der Schein zerknüllt war, verkrampfte sich. Noch immer stand er vor dem Kaufhaus.

Der Becher war fast leer.

Ein letztes Mal blickte Bastian nach oben. Schneeflocken flogen ihm in den Nacken und schmolzen auf seinem Rücken. Er drehte sich und ging in den Backshop. Er bezahlte 38 Cent.


Diese Kurzgeschichte findet man auch in meinem ersten Sammelband.
 

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